Ein neues Angebot in unserer Pfarre: Die Laudes – ein Gebet, nicht nur für Pfarrer…!

Jesus und seine Jünger waren Juden, und im Judentum war und ist es üblich, sich dreimal am Tag zum Gebet zu versammeln. Vor allem die Psalmen Davids, die 150 Lieder des Alten Testaments, wurden dabei gebetet und gesungen. Dass die Apostel das

nach der Auferstehung Jesu taten und dazu in den Tempel gingen, wird schon durch die Apostelgeschichte bezeugt.

Von Anfang an haben sich auch die Christen nicht nur zur Feier des Herrenmahls, also zur Messe versammelt, sondern auch zum Gebet, vor allem am Morgen und am

Abend. Am Morgen begrüßten sie Christus als das Licht, als die Sonne, die jede Nacht vertreibt und unser Leben hell macht durch sein Wort.

Am Abend zündeten sie die Kerzen an und priesen Christus als das Licht, das niemals untergeht – so wie wir es heute noch zu Beginn der Osternacht ganz feierlich tun.

In den Klöstern versammelten sich die Mönche bis zu sieben Mal am Tag zum gemeinsamen Gebet, das den ganzen Tag der Mönche heiligen sollte. Immer stand das Gebet der Psalmen im Mittelpunkt. Die Mönche versammelten sich um den Altar oder zu seinen beiden Seiten und sangen sich die Verse gegenseitig zu; schließlich kannten sie die Psalmen alle auswendig, so wie wir die Einser- oder Zweier-Messe kennen.

 

Für die Gläubigen wurde das zunehmend zu einem Problem, denn sie konnten sich die Psalmen nicht merken, und Bücher waren ein sehr teures, hohes Gut! Schließlich wurde das Gebet der Psalmen von einem anderen Gebet verdrängt, nämlich dem Rosenkranz. Auch DER wird bekanntlich im Wechsel zwischen zwei Seiten gebetet,

und wenn man die klassischen Gesätze betet, den freudenreichen, den schmerzhaften und den glorreichen, dann hat man genau 150 Ave Maria gebetet – für jeden der 150 Psalmen EIN Ave…

 

Für die Diakone, Priester und Bischöfe aber wurde das „Stundengebet“ der Mönche und Nonnen ab dem 11. Jahrhundert immer mehr zur Verpflichtung. Aus dem Gebet der Gläubigen wurde ein Gebet für die „Spezialisten“, und die Gläubigen beteten den Rosenkranz als Ersatz.

 

Das II. Vatikanische Konzil wollte die alte Ordnung wenn schon nicht wiederherstellen, so doch zumindest in Erinnerung rufen. Immer wieder ermahnt die „Konstitution über die heilige Liturgie“ die Gläubigen, gemeinsam mit dem Priester das Stundengebet zu verrichten. Und uns Priester ermahnt es, die Gläubigen in das Psalmengebet behutsam einzuführen.

 

Wenn wir bei den Laudes gemeinsam die Psalmen beten, dann geschieht das immer im Wechsel zwischen einem Vorbeter und allen oder eben zwischen den beiden Seiten.

 

Das Gebet beginnt mit dem Eröffnungsruf, während wir das Kreuzzeichen machen, und dem „Ehre sei dem Vater“. Das „Ehre sei dem Vater“ kehrt am Ende aller Psalmen wieder, es hilft uns Christen, die alten jüdischen Texte auf den dreifaltigen Gott, vor allem auch auf Christus hin zu deuten, und es ist zugleich ein kurzes, kräftiges Gotteslob in unserer katholischen Tradition.

Nach dem Eröffnungsruf folgt der Hymnus, der dem Gebet sein Gepräge gibt; jetzt zum Beispiel, in der Fastenzeit, bittet er Christus um ein „reuevolles Herz“ und hält Ausschau auf das Osterfest, auf den „Tag, da alles neu in Blüte steht“.

Dann folgen drei Psalmen, jeweils von einer Antiphon umrahmt und vom „Ehre sei dem Vater“ abgeschlossen. Die Antiphon erschließt uns den Text, den wir dann im Wechsel beten.

Die Psalmen: der Tradition nach sind es Lieder und Gedichte, Gebete, die auf König David zurückgehen. „Psallein“ ist griechisch und bedeutet „die Saiten schlagen“. Es bezeichnet einen Gesang mit Saitenbegleitung und kann wörtlich

übersetzt werden als „gezupftes Lied“. Also: die Psalmen haben es mit Musik zu tun: man spielt Saiteninstrumente wie Harfe oder Gitarre dazu oder man singt sie. In ihnen kommen alle Emotionen, alle Gefühle zum Ausdruck, zu denen wir Menschen fähig sind: Lob und Dank, Sehnsucht und Erwartung, Enttäuschung und Wut, Trotz und Klage – alles kommt in den Psalmen vor, häufig ganz entgegengesetzte Stimmungen in einem Psalm.

Natürlich: wenn man sie zum ersten Mal betet, muss man sich auf das Lesen konzentrieren, und der Inhalt bleibt zuerst fremd. Erst wenn man sie wieder und wieder spricht und fast auswendig kennt, wie ein liebgewonnenes Gedicht, dann macht man sich den Inhalt zu eigen. Und manchmal tut man sich auch einfach schwer: warum so viel

Enttäuschung und Anklage? Oder ein großes Lob, wenn mir selbst eigentlich gar nicht nach Lob zumute ist.

Ich mache es so: ich rufe mir dann die Menschen aus den Pfarren oder auch aus meinem Freundeskreis in Erinnerung, von denen ich weiß, dass ihr Leben von eben genau diesen Gefühlen nun geprägt ist: etwa am Beginn des 2. Psalms, des Canticums: „Ich sagte: in der Mitte meiner Tage muss ich hinab zu den Pforten der Unterwelt; man raubt mir den Rest meiner Jahre.“ Mir sagt der Vers gerade nichts, aber ich denke an eine Frau, die vor kurzem ihren Mann verloren hat, ein Jahr älter als ich, 52 Jahre. Diese Frau weiß, wie es ist, wenn man „in der Mitte der Jahre“ den Rest des Lebens geraubt bekommt…

Jeder Psalmvers besteht aus zwei, manchmal drei Zeilen. Das erinnert an unsere Gedichte und Lieder, auch wenn die meistens vier Verse haben. Immer dort, wo der Stern * zu sehen ist, der Asteriskus, machen alle eine kurze Pause (einmal zählen: 21-22), um sich zu sammeln und IM WORT zur Ruhe zu kommen. Gerade beim gemeinsamen Gebet ist eine solche Pause sehr wichtig; das verlangt etwas Konzentration, und es ist anfangs nicht ganz leicht, aber es zahlt sich später aus – weil das Gebet etwas ruhiges, etwas Meditatives bekommt.

Dort, wo das + Kreuz zu sehen ist, ist die Pause ganz kurz, man geht gegebenenfalls mit der Stimme etwas herunter.

 

Nach dem dritten Psalm hören wir eine kurze Lesung, gefolgt von einem Responsorium, einem kurzen Wechselgesang, der unsere Antwort sein will auf das Wort Gottes, das wir in der Lesung gehört haben.

 

Dann folgt der Höhepunkt der Laudes, das Benedictus. Es wird an jedem Tag gesungen, 365 Tage im Jahr; es ist das Lied, das Zacharias gesungen hat, der Vater Johannes des Täufers, als er seine Stimme wiedererlangt hatte, nachdem ihm sein Sohn geboren wurde. Neun Monate lang konnte er nicht sprechen; denn er, immerhin ein Priester im Jerusalemer Tempel, hatte an Gottes Verheißung nicht geglaubt. Und jetzt, als der kleine Knabe vor ihm liegt, jetzt endlich preist er Gottes Erbarmen und besingt „das aufstrahlende Licht aus der Höhe“ – wie passend am Beginn jeden neuen Tages! Jeder Tag ist ein neuer Anfang, selbst wenn uns die Träume der Nacht manchmal die Sprache verschlagen.

Immer zu Beginn des Benedictus machen wir das Kreuzzeichen, denn es ist dem Lukasevangelium entnommen, und beim Evangelium der Messe bezeichnen wir uns ja auch mit dem Kreuz…

 

Nun schließen sich die Bitten an. Im Unterschied zur Messe sind es am Morgen keine „Für-Bitten“, die die Situation anderer in den Blick nehmen, sondern es geht um uns selbst und das, was unseren Tag heute prägen soll.

Die Bitten werden zusammengefasst im Vater unser, jenem Gebet, das uns Jesus gelehrt hat.

Den Abschluss bildet dann die Oration, das Tagesgebet, das häufig dasselbe ist wie das Tagesgebet der Messe.

Dann schließt sich der Segen an, in zwei Formen: wenn ein Priester oder Diakon anwesend ist, oder wenn jemand von Euch das Gebet leitet. In beiden Fällen machen wir das Kreuzzeichen.

 

Es wird vermutlich etwas dauern, bis wir uns mit dieser Gebetsform angefreundet haben. Von mir kann ich sagen: ich möchte dieses Gebet auf keinen Fall mehr missen; es hilft mir sehr, meinen Tag mit Gott zu beginnen…!

 

P. Hans-Ulrich Möring OT